Liebe IG Metall

Ein Abschiedbrief nach vierzehn Jahren Gewerkschaftsmitgliedschaft

Liebe IG Metall,

Nach nun mehr vierzehn (in Zahlen: 14 (!)) Jahren trennen sich unsere Wege.

Wir hatten eine interessante Zeit, ja, ich wüsste nichteinmal wo ich bei meiner politischen Bildung ohne dich stehen würde. Aber auch dieses Kapitel schließt sich nun.

Klar, für dich bin ich bloß einer von bisher 2.270.595 Mitgliedern(1), bzw. nun 2.270.594 Mitgliedern. Aber wie häufig habe ich in meiner Funktion als Jugendvertreter mich stark gemacht für "Jedes Mitglied zählt!" oder "Nur gemeinsam sind wir stark!".

Und jetzt habe ich selber meinen Austritt aus dieser alten, 25.900 Tage andauernden Institution eingereicht. Warum? Eine Frage die ich mir schon länger gestellt habe. In beide Richtungen. Wie so häufig bei einem Abschied kommt natürlich die Frage nach dem "Warum?". Ob nun von mir, von der Geschäftsstelle, dem lokalen Betriebsrat, den Kollegen oder meiner Frau. Vielleicht muss ich dazu ein weiteres Klischee bedienen. "Es liegt nicht an dir, es liegt an mir."

Die letzten Jahre waren nicht davon geprägt das du mich besonders in Anspruch genommen hast. Kaum Warnstreiks. Kaum Aktionen von denen groß die Rede war. Erst als die Diskussion um die Klimakrise Fahrt aufgenommen hast, Arbeitsplätze bei großen Betrieben in Gefahr waren, da hast du dich wieder gerührt. Aber dir ist nicht bessers eingefallen als ein stumpfes "Alle Arbeitsplätze sichern!". Klar, dafür bist du da. Das ist mit die wichtigste deiner Kernkompetenzen das alle ihren Arbeitsplatz behalten können. Aber auch deine größte Schwäche.

Wo bleiben die Ideen? Wo bleibt der Entwurf, von mir aus auch Vision, für eine geänderte Arbeitswelt? Du hattest mit dem letzten Tarfivertrag und dem flexibeln "T-Zug"(2) einen Nerv getroffen und vermutlich die richtige Entwicklung angestoßen. Aber was kam danach? Es drang nie zu mir vor ob da überhaupt noch eine weitere Idee da war. Vielleicht ist es ein Problem damit das ich mich nicht richtig informiert habe oder das die Information bei mir nicht ankam. Das monatlich (sic!) erscheinende Arbeitnehmermagazin "metallzeitung"(3) habe ich vor Jahren abbestellt, weil es meistens nur ein Lobhudeln war und eigentlich nichts was mich interessiert hat. Ich wollte nicht vom Briefkasten gleich zum Altpapier laufen. Mehr war es mir nicht wert.

Auch habe ich darum gebeten mir keine "metallzeitung" mehr zuzusenden, weil ich den Papierverbrauch reduzieren wollte. Zum Umweltschutz. Vermutlich eine leere Geste. Nichts anderes als eine Ausrede, aber es ist bezeichnend das mir nicht einfiel das Magazin einmal durchzublättern, sondern es gleich dem Verwertungskreislauf zuzuführen.

Umweltschutz wurde im Laufe des Jahre 2019 immer dringender. Die Klimakrise steht uns nicht bevor, wir befinden uns Mitten drin. Mit Freude sah ich IG Metall Jugend Flaggen bei Fridays for Future Demonstrationen. Auf der Straße wurde gezeigt was man davon hält. Nur deine Jugend war doch schon immer nur nettes Beiwerk. In meiner Zeit als Jugendvertreter habe ich, auch in meiner eigenen jugendlichen Überheblichkeit, nie das Gefühl ernstgenommen zu werden. Selbst jetzt wo ich in der Ausbildung "am anderen Ende" des Tisches saß, hatte ich nie den Eindruck das die Jugend über lokale Aktionen viel Einfluss haben konnte. Moderne, frische Ideen wurden nichteinmal zur Diskussion aufgenommen, geschweige denn ernsthaft in Verhandlungen diskutiert. Vielleicht mal als Verhandlungsmasse, aber das Bauernopfer war schnell getätigt. Was ist aus "Das Beste für alle"(4) geworden? Als Aubilder habe ich täglich mit IG Metall Jugendvertretern zu tun, aber außer einem oder zwei Plakaten drang nichts zu mir durch.

Was war aber der berühmte "letzte Tropfen"? Was führte dazu das ich Ende Juni ein kurzes, formloses Schreiben aufsetzte, meinen Mitgliedsausweis dazusteckte und den Brief zur Post brachte?

Die Wut auf die Ideenlosigkeit und das verspielen der Zukunft unserer Jugend und unserer Lebensgrundlage! Die Klimakrise bedroht zerstört mehr als wir alle begreifen können. Die größten Industriebetriebe sind von diesem Umbruch bedroht. Der Strukturwandel ist voll im Gange und wir benötigen dringenst neue Ideen, neue Ansätze, neue Formen der Arbeit, des Wirtschaftes und auch der Gewerkschaftsarbeit.

Stattdessen lese ich in den Medien das dein Vorsitzender eine Partei angreift, weil es keine Kaufprämie für Verbrennungsmotoren geben wird. (5)

Die IG Metall ist eine unglaublich wichtige Institution gewesen, für die 35h-Woche, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und garantierte einjährige Übernahme am Ende der Ausbildung (zumindes in BW). Du verspielst all das, nur das irgendwo ein Mitglied sagen kann: "Der Planet ist durch. Aber mit dem Geld das die IG Metall für mich erstritten hat, konnte ich mir noch einige fette Autos kaufen."

Ist das unser dein Ziel?

Ich kann, will und werde dir auf diesem Weg nicht folgen. Ja, ich hätte mehr tun können, aber momentan erscheint mir "die Abstimmung mit den Füßen" die wirkungsvollste Methode zu sein.

Und wer weiß. Vielleicht eines Tages, wenn ich sehe, höre und auch erlebe das es mehr gibt und der Horizont nicht am Ende des eigenen Arbeitsplatzes endet, dann bin ich vielleicht wieder dein 2.270.595 Mitglied.

So long and thanks for all the fish, Robert